Jede dritte Frau in Österreich ist laut Statistiken schon einmal Opfer von sexueller Gewalt gewesen. Auch meine Coachingpraxis bestätigt dies. Genaue Zahlen gibt es aber nicht. Nicht jeder Fall wird angezeigt. Oft schweigen die Betroffenen jahrelang. Die Zahl der tatsächlichen Verurteilungen ist dem entsprechend auch relativ gering.
Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt. Aber solange nur die anderen betroffen sind, kann man gut mit dem Finger hin zeigen. Sobald es näher rückt oder sogar die eigene Community betrifft, wird es schon schwerer. Siehe auch die Grünen oder eben der Travestie-Darsteller der Serie Transarent, Jeffrey Tambor. Dieselben, die zur Solidarität der Frauen aufriefen, haben dann Verschwörungstheorien gesponnen. Siehe auch Lena Dunham, Star der Serie „Girls“. Als einem der Girls-Drehbuchautoren, Murray Miller, Vergewaltigung vorgeworfen wurde, nahm Dunham ihn in Schutz und warf der Schauspielerin Aurora Perrineau falsche Beschuldigungen vor. Etwas später musste sie sich entschuldigen. Aber das Verhalten zeigt den Zwiespalt.
Wir wissen nicht, was zwischen dem mutmaßlichen Opfer und dem mutmaßlichen Täter tatsächlich passiert ist. Unser ganzes Wissen beziehen wir aus den Medien, und täglich kommt eine neue Schwemme an Anschuldigungen. Und während manche eindeutig als sexuelle Belästigung klassifiziert werden können, sind andere nicht so eindeutig zu klassifizieren. Dabei wäre es ganz einfach. Sexueller Missbrauch beginnt dort, wo der andere nein sagt, wo die Grenze und die Würde eines Menschen verletzt wird.
Sexuelle Nötigung und Missbrauch wird immer dann begünstigt, wenn es ein starkes Machtgefälle gibt, ein Abhängigkeitsverhältnis und gleichzeitig ein Überlegenheitsgefühl des Täters bzw. ein Unterlegenheitsgefühl des Opfers. Und zwar unabhängig von der Herkunft oder von der sozialen Schicht. Das zeigen auch die Schilderungen der Opfer. Das Gefühl der Solidarität hat viele Frauen und Männer ermutigt, ihre Täter öffentlich zu machen. Das auch viele prominente Täter angezeigt wurden, hat die Kampagne erfolgreich gemacht.
Einerseits ist es erfreulich, dass sich mehr Frauen outen und die Fälle öffentlich machen. Das ist ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig kippt aber gerade die öffentliche Stimmung, viele Stimmen werden laut, die metoo als übertrieben brandmarken oder Geltungsdrang bei den Frauen orten. Das hängt einerseits damit zusammen, dass metoo näher an unsere Lebenswelt rücken und wir uns wehren. Und andererseits vermischen viele Menschen #metoo mit einer Pauschalverurteilung von Männern. Die Chance von #metoo, die Sexismus-Debatte voranzutreiben, ist leider nicht mehr allzu hoch. Was bleibt ist ein schaler Nachgeschmack. Und die Opfer? Dass neben Missbrauch zunehmend über sexistische Äußerungen und verbale Abwertungen diskutiert wird, wertet das Thema Missbrauch leider ab. Für die Opfer von sexueller Gewalt ist das eine Katastrophe, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen. Die Türe geht rascher wieder zu als man denkt. Das hat ja auch #Aufschrei aus Deutschland gezeigt. Was bleibt, ist hoffentlich ein neuer Sexismus-Diskurs.
Die schlechte Nachricht. Niemand kann sich 100 Prozent schützen. Sexuelle Gewalt kann jede Frau treffen. Und die Männer, die Frauen sexuell bedrängen, nötigen oder belästigen, sind keine erkennbaren Monster. Sondern sozial integriert, meist in Machtpositionen und macht-verwöhnt.
Das Gegenrezept: Je selbstbewusster eine Frau ist und je selbstverständlicher sich Männer und Frauen auf Augenhöhe begegnen, desto weniger kommt sexuelle Belästigung vor. Hier sind Unternehmer als Arbeitgeber genauso gefordert wie Institutionen und Organisationen. Und wir können auch dazu beitragen, dass sexuelle Belästigung uncool ist. Das beginnt schon bei der Erziehung. Als Vater von vier Kindern kann ich nur sagen – bitte achtet auf den Selbstwert eurer Kinder. Und achtet darauf, dass sich Menschen mit Respekt begegnen und die Grenzen des jeweils anderen achten. Gerade Kinder haben ganz feine Antenne für diese Zwischentöne.
Eine Frau, die vergewaltigt wird, die sexuell genötigt wird, ist ein Opfer. So ein Erlebnis ist ein Trauma, das sich in der eigenen Biografie festbrennt. Die große Frage ist immer – wie schaffen es die Frauen, mit diesem Erlebnis umzugehen? Und da gibt es große Unterschiede. Manche kämpfen, stellen ihren Peiniger, weigern sich Opfer zu sein. Beispiel: Thordis Elva hat ihren Vergewaltiger Tom Stranger nach Jahren kontaktiert – das Ergebnis war ein gemeinsames Buch „South of Forgiveness“. Andere können nicht abschließen und leiden wirklich. Und manche werden selbst zur Täterin, etwa indem sie andere manipulieren und Macht ausnützen. Fakt ist aber auch, dass professionelle Hilfe notwendig ist, um solch ein Erlebnis zu bewältigen.
Zum Thema Spielen mit Opferrolle – ja, es gibt Frauen, die das tun. Ich habe schon unzählige Paare beraten seit fast zehn Jahren. Und wenn man Typologien herausarbeitet, dann fühlen sich Frauen in Partnerschaftskonflikten öfter als Opfer und ziehen sich in eine Opferrolle zurück. Die große Frage ist immer, warum und wem nützt das etwas? Wer sich als Opfer fühlt, hat meist das Gefühl machtlos zu sein. Aber wenn ich es schaffe, dass sich mein Gegenüber schlecht fühlt, dann habe ich Macht. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Und bei metoo werden beide leider wild durch einander gewürfelt.
Das ist ein grundlegendes Missverständnis. Metoo sollte keine Geschlechterdebatte sein oder gegen Männer hetzen, es sollte eine Sexismus-Debatte sein! Und das ist ein großer Unterschied. Sexismus hat etwas mit ungleichen Machtverhältnissen zu tun und metoo damit, dass der stärkere Part diese Macht ausnützt, um den Schwächeren zu verletzen, zu demütigen, zu missbrauchen. Das hat mal per se nichts mit Mann und Frau zu tun, metoo ist nur ein Spiegelbild, wo Machtmenschen sitzen, die glauben, ihnen kann nichts passieren und niemand kann ihnen das Wasser reichen. Wenn man jetzt metoo auf einen Geschlechterkrieg reduziert, dann ist das eine Fehlentwicklung. Und ja, man steigert sich zu sehr rein in Verallgemeinerungen. Wenn das Leben eine einzige sexuelle Belästigung ist, wie das manche übereifrige, selbsternannten Feministinnen gesagt haben (Sigrid Maurer), dann ist das ein Pauschalurteil, das niemandem nützt. Und im Gegenteil, Widerstand erzeugt.
Wir leben in einer reiz- und informationsüberfluteten Welt. Deshalb müssen wir umso stärker selektieren und tun dies aus. Es ist ganz charakteristisch, dass wenn eine Katastrophe passiert oder ein Krieg ausbricht, in den ersten Wochen die Hilfsbereitschaft ganz groß ist und die meisten Spenden lukriert werden. Und dann ebbt das Interesse ab und auch die Spendenbereitschaft. Die Katastrophe verkommt zu einer Randnotiz, und irgendwann sind wir ganz überrascht, dass etwa der Krieg nach fünf Jahren immer noch da ist. Nur unsere Aufmerksamkeit eben nicht mehr. Metoo dauert für eine Mediengeschichte sogar schon sehr lange, und das ist auch nur möglich, weil sich immer mehr neue Schauplätze auftun.
Der zweite Punkt ist persönliche Betroffenheit. Je weiter etwas weg ist, desto leichter kann ich mich abgrenzen. Je näher etwas rückt, desto stärker muss ich mich damit auseinandersetzen. Als die ersten Vorwürfe in Österreich gegen prominente Persönlichkeiten aufgetaucht sind, war einerseits die Betroffenheit groß, andererseits reagieren viele Menschen mit Abwehr.
Es gab wirklich auf der ganzen Welt Unterstützerinnen von metoo und Frauen, die sich geoutet haben. Sexuelle Selbstbestimmung ist unabhängig von der Kultur. Aber klar, die Stellung der Frau und das Selbstverständnis von Frauen ist von Land zu Land unterschiedlich. Ich denke, jeder und jede kennt den Unterschied Sexuelle Gewalt ist in allen Kulturen verboten. Allerdings wird die Stellung der Frau doch unterschiedlich bewertet. Es ist ja bei uns auch noch nicht so lange her, dass Geschlechtsverkehr in einer Ehe zu den ehelichen Pflichten gehört hat und Vergewaltigung in einer Beziehung damit legitimiert war.
Zum Großteil in Österreich noch immer sehr traditionell. Auch wenn tendenziell mehr Frauen arbeiten gehen, so haben die meisten einen Teilzeitjob und sind hauptsächlich für die Kindererziehung zuständig. Österreich ist international gesehen, sicher Entwicklungsland auf diesem Gebiet.
Müssen ist schon mal falsch. Anderer Ansatz: Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Und jeder Mensch hat die gleichen Rechte. Sich befreien müssen (das heißt ja Emanzipation) ist ja eigentlich etwas sehr negatives und hat etwas mit Flucht zu tun. Aber was, wenn Frauen einfach aus einem Selbstverständnis agieren und leben, dass sie mächtig sind. Das sind Frauen nämlich. Sie wissen es nur manchmal nicht.
Eine Gesellschaft kann sich dem Sexismus stellen und kann sich verändern. Tut sie sowieso ständig. Die Beispiele zeigen ja schön, dass die Täter bei #metoo nahezu alle einer Männergeneration angehören, die nicht mehr zeitgemäß ist, wo schon die Jungen eifrig sägen. Wenn wir es schaffen, dass sexuelle Belästigung einfach nicht mehr zeitgemäß ist, ewig gestrig wirkt und gegenseitiger Respekt das neue Zauberwort für Erfolg, dann haben wir als Gesellschaft viel gewonnen.