Auch wenn es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis für die oft belächelte und häufig unterschätzte Midlife Crisis gibt, wissen wir, dass die Lebensmitte sehr häufig von seltsamen Verhaltensweisen, bis hin zu heftigen Dramen geprägt sein kann. Gefühle wie Trauer, Wut, Angst vor der Zukunft, fehlender Sinn im Leben oder ständige Unzufriedenheit belasten die Betroffenen und deren Partner oft bis an die Grenzen. In diesem mehrteiligen Spezial erfährst du: Fakten, Tipps, Denkweisen und Tools, um dieser oft sehr schwierigen Lebensphase bestens gewappnet zu begegnen.
Zwischen 40 und 60 erleben wir das goldene Zeitfenster unseres Lebens! Die Lebenserfahrung hat weise gemacht und längst muss man´s nicht mehr allen recht machen. Die hormontriefende, nur Sex im Kopf habende Jugend ist vorbei, ein entspanntes und weises Alles-kann-sein, Nichts-muss-sein folgt. Und bisherige Lebenserfahrungen helfen bei der Bewältigung von Herausforderungen… Weit gefehlt! Im Gegenteil: Sehr häufig sind die veränderten Verhaltensweisen von Menschen in der Midlife Crisis gravierend, und nichts scheint in diesen Jahren so unbedeutend wie Vernunft, Logik oder Angemessenheit.
Die Auswirkungen der Midlife Crisis sind ähnlich wie die der Pubertät: Mann / Frau probiert, verändert, hinterfragt viel und trifft mitunter waghalsige Entscheidungen. Alterspubertäre Männer kaufen sich unvernünftige Autos und polieren ihr Ego mit einer zu jungen Partnerin, von der sie sich die Lösung ihrer Selbstzweifel erhoffen. Und weil Yoga und Wellnessurlaub zu langweilig scheinen, kaufen sie sich sündhaft teure Elektrobikes zum Downhillfahren. Während bei uns Männern die Pubertät häufig erst mit dem Tod endet, entdecken Frauen häufig die Spiritualität für sich, lesen Bücher über den Sinn des Lebens, wollen ihre Mitte finden, sich noch einmal neu entdecken, verlieben sich fremd oder gehen auf Pilgerschaft.
Alterspubertierende wehren sich verzweifelt gegen ihr Schicksal, doch mit dem Aufbäumen gegen das Unvermeidliche, wirken Midlife Crisis geplagte Männer und Frauen oft wie das Gegenteil dessen, was sie darstellen möchten.
Ganz wesentlich zu einer großen Verunsicherung im Alter trägt der Verlust der jugendlichen Attraktivität bei.
Eine Klientin meinte letztens zu mir: „Ich kämpfe mit einer verschobenen Wahrnehmung. Schau in den Spiegel und bin völlig irritiert darüber, wen ich da sehe! Wo kommen die Halsringe plötzlich her und die zusätzliche Lidfalte? Ich fühle mich viel jünger als ich aussehe! Ich will, verdammt noch mal, jung alt werden!“
Fest steht: Sich regen bringt Segen und es ist nie zu spät fitter zu werden. Doch selbst wenn du alles für deinen Körper bzw. dein Aussehen tust, den Gang ins Fitnesscenter erhöhst und immer mehr Antifaltencremen schmierst, irgendwann verabschiedet sich dein jugendliches Aussehen auf nimmer Wiedersehen – beinhart, und dein Körper wird sich mehr und mehr verändern – zum Schlechteren. Tut weh, ich weiß und es stimmt. Wenn dir dann noch der Humor abhanden kommt, weil du dich und dein Aussehen allzu ernst nimmst, leidest du sinnlos!
Die Haare werden mitunter strohig oder dünn, ändern ihre Farbe oder meinen gar, am Kopf verschwinden zu dürfen, um dafür an anderer Stelle zu wuchern: aus der Nase, den Ohren und auf dem Geschlechtsbuschen.
Es folgen irgendwann Altersflecken, Tränensäcke, vielleicht ein Doppelkinn und sich stetig mehrende Falten im Gesicht. Eine natürliche Folge des Alterns ist auch das Schwinden der Muskelmenge, was bei gleichbleibender Kalorienzufuhr nach und nach zur Zunahme der Fettdepots führt, weil weniger Muskeln folglich auch weniger Energie benötigen als sonst. Hagelschaden auf den Oberschenkeln, Reiterhose, Wellengang-Silhouette, ein Waschbärbauch anstelle des Waschbretts oder gar ein Weizenspoiler und Bingo-Wings. Das volle Programm. Wenn irgendwann das Stoffwechselsystem neu austariert ist, kann Essen wieder betrachtet werden, ohne dass man gleich zunimmt. Doch bis dahin heißt es entweder viel bewusster und weniger essen, plus fleißig sporteln – oder drauf …
Ein ebenso verbreitetes Phänomen ist die Anhäufung von immer mehr Brillen und das Zusammentauschen ebensolcher mit dem Partner. Im Alter haben zwar die neuen Kontaktlinsen nur noch -8 statt -10 Dioptrien – Altersweitsichtigkeit sei Dank -, doch hast du keine Sekunde deines Lebens damit gerechnet, dass du eines Tages zum Gleitsichtbrillen-Kopfnicker wirst. Ein wenig blind zu sein, hat lediglich positiven Einfluss auf den Ausblick beim Sex, denkst du. Denn zum Glück sind mittlerweile alle Hebeln und Knöpfe alt-bekannt!
Du bist drauf und dran, nicht weiterzulesen und willst dich lieber von der nächsten Brücke stürzen? Nicht doch!
Irgendwann beginnen viele, die Selfies nicht mehr gegen aktuelle Fotos auszutauschen und sich nur mehr von einer bestimmten Position aus im Spiegel zu betrachten. Frauen stellen sich seitlich vor den Spiegel und strecken dabei den Po etwas zurück, Männer schauen sich selbst beim Rasieren vermehrt ungern ins Gesicht, ziehen vorm Spiegel den Bauch ein oder geben den Kampf gegen die Schwerkraft völlig auf und lassen sich gehen.
Was man dem eigenen Mann aber so besser nicht sagt! In der Alterspubertät schonungslos ehrlich zu sein – das würde auch die beste Beziehung kaum aushalten. Ein bisschen Lügen zum Vorteil beider Partner schadet nicht. Noch wichtiger ist es allerdings, sich selbst zu bescheißen!
Immer mehr Menschen mittleren Alters, haben große Angst vor dem Alter und Schwierigkeiten in Würde zu altern. Wir versuchen um jeden Preis, den Alterungsprozess aufzuhalten. Schönheitsoperationen boomen mehr denn je, und der regelmäßige Gang zum Botoxen ist für viele längst Normalität. Soziale Medien fördern den Vergleichswettbewerb und in Zeiten der Likes nimmt die obsessive Selbstoptimierung immer ungesündere Ausmaße an. Mitverantwortlich an der Misere sind unsere gängigen Schönheitsideale. Haben die in der westlichen Kultur vorherrschenden Attraktivitätsnormen für dich Gültigkeit, so kann der Verlust deiner jugendlichen Schönheit ein schwerer Einschnitt in deinem Leben sein.
Mehr zum Thema im Artikel: Beziehungskiller Jugend und Schönheitswahn
Alles, was ich über die Midlife Crisis gelesen habe, war wahr. Ich hatte solch ein Problem damit, die jugendlichen Dinge los zulassen und zu lernen, wie ich enthusiastisch leben und gleichzeitig die Bequemlichkeit des mittleren Alters genießen konnte.
David Bowie
Die Veränderung unseres Aussehens zeigt uns augenscheinlich auf, dass wir längst keine 20 mehr sind und unsere Hülle sterblich ist, was sehr schmerzhaft sein und in einer Krise ausarten kann. Der Prozess bis hin zur Akzeptanz ist höchstwahrscheinlich nicht leicht aber wertvoll!
Der Psychologe C. G. Jung meint, dass die erste Lebenshälfte geprägt ist davon, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden und die zweite, das Innen und Außen einer Person in Übereinstimmung zu bringen. Es geht nicht mehr um Expansion, sondern um das Besinnen auf das Wesentliche. Eine gestärkte innere Reife und damit verbundene Werte sollen die Bedeutung von Äußerlichkeiten ablösen und zu einer bewussteren Lebenshaltung führen.
Hat man zeitlebens ein hohes Maß seines Selbstwerts durch das eigene (jugendliche) Aussehen definiert, hat Mann / Frau sich selbst und andere am Wert Schönheit gemessen und verglichen, bedarf es einer reiferen Wertehierarchie und einer neuen Selbstsicherheit, die nach und nach – evtl. mit Unterstützung und professioneller Hilfe – erst aufgebaut werden will.
Midlife CrisisJetzt will ich dir mit einem einfachen, und sehr effizienten Trick behilflich sein: Vermeide es, zu jammern und zu dramatisieren! Machst du dein Aussehen stets zum Thema? Erhalten dein schütter werdendes Haar, die Spannkraft deiner Haut, dein Oberschenkelumfang, deine körperlichen Problemzonen oder einfach der Umstand, dass du älter geworden bist, mehr Aufmerksamkeit als angemessen? Fakt ist: Wenn du dich geschmackssicher stylst, nicht faul wirst und dich gehen lässt, dann wirst du selbst mit Glatze, weniger Mukkis und mehr Falten attraktiv sein! Vergleiche sollten nicht dramatisiert werden! Du willst deinen trainierten 50-jährigen Körper mit dem eines trainierten 20-jährigen vergleichen? Das ist völlig unrealistisch bzw. absurd! Vergleiche dich mit einem untrainierten 30-Jährigen, und die Sache sieht gleich ganz anders aus!
Und wenn du dich schon vergleichst, dann bitte zum eigenen Ansporn! Auf welche Art Mann, stehen Frauen wohl mehr? Auf einen selbstverliebten Muskelprotz mit Entengang, der nichts als sein Ego-Workout im Blick hat, mit mangelnder Lebenserfahrung. Oder auf einen smarten Mittvierziger, der weiß, wer er ist und wofür er steht im Leben? Jemand der zwar älter aber auch gelassener ist, entspannt bleibt, selbst in schwierigen Situationen und weiser an die Dinge rangeht. Der nicht mehr überall dabei sein muss, weil er längst erkannt hat, dass dabei sein nicht alles ist. Der einfach sein kann, so wie er ist, charmant humorvoll und tiefen entspannt, ohne permanent was beweisen zu müssen. Ein reifer Kerl der allemal attraktiver wirkt, als eine bloß junge Hohlbirne ohne Plan! Verstehst du, was ich meine? Hier darf man die Sache zum eigenen Vorteil ruhig etwas überzeichnen.
Ein Klient von mir meinte einmal, dass er sich zu keinen Kommentaren mehr im Internet äußert, weil ihm der Gedanke, sich hier möglicherweise mit einem Pubertierenden abzumühen, schräg einfährt. Er würde doch auch im wahren Leben über manche Themen nicht mit 15-Jährigen diskutieren. Genau diesen Gedanken adaptierte er schließlich, um seinen Alterungsprozess leichter annehmen zu können. Es sei doch völlig absurd, meinte er, eine 45-jährige Haut mit der eines 20-Jährigen zu vergleichen. Oder die Muskelmasse. Oder die 90-60-90 mit einer Frau, die noch nie ein Kind auf die Welt gebracht hat oder aufgrund des Wechsels noch keinen natürlichen Stoffwechselveränderungsprozessen unterliegt.
Mach dir bewusst, dass Schönheitsideale kulturelle Erfindungen sind, Zwänge, denen wir schutzlos ausgeliefert sind, wenn wir sie unreflektiert übernehmen bzw. nicht kritisch hinterfragen. Mehr zum Thema Selbstwert im Artikel: Selbstwert steigern – 9 Tipps für charismatisches Auftreten. oder speziell für Frauen: So gewinnen sie mehr Selbstvertrauen.
Nicht alle Menschen schlittern in eine Midlife Krise, weil sie an ihrem Körper die Zeichen der Zeit wahrnehmen. Trotzdem beunruhigt die beginnende Ahnung vom Altwerden zutiefst: Und zwar, weil sie mit der Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit einhergeht!
C.G. Jung beschäftigte sich intensiv mit der zweiten Lebenshälfte und meinte über die Lebensmitte: „Dann, in der geheimen Stunde am Mittag des Lebens … wird der Tod geboren.”
Die verbleibende Zeit wird weniger – schon ab der Geburt. Hat man bisher kaum Gedanken daran verschwendet, nicht ewig leben zu können, führt die Erkenntnis über die Gewissheit des näher rückenden Todes bei vielen zu panischen Zuständen und neuen Sichtweisen. Zukunftspläne werden unter diesem Gesichtspunkt nun ganz anders betrachtet und priorisiert. Nicht selten tun sich große Fragen auf und führen zu krisenhaften Zeiten:
Der Stress der durch solche Gedanken entsteht, tut sein Übriges. Das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, lässt glauben, dass das Leben an einem vorbei rast. Spannendes zum Thema Stress erfährst du im Artikel: Was du unbedingt über Stress wissen solltest.
Hinzu kommt, dass sich ein junger Mensch seine verbleibende Lebenszeit als das mehrfache des bereits gelebten Lebens vorzustellen vermag, in der Lebensmitte die Vorstellung von der verbleibenden Zeit in der Relation zur bereits verlebten Zeit aber erheblich verkürzt wird. Im Rahmen dieses veränderten subjektiven Zeiterlebens werden (nicht immer bewusst) Bilanzierungen vorgenommen, die eine Grundlage für die kritische Reflexion des bisher Erreichten darstellen und sich bis hin zur Identitäts- und Sinnkrise entwickeln können. (Wikipedia).
Dass uns irgendwann der Tode ereilt, macht sehr, sehr traurig! Daher ein kleines Zahlenspiel zum Aufmuntern: In Europa liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei über 80, und betrachten wir 60 Jahre davon als Leben eines Erwachsenen, dann kann gesagt werden, dass man mit 40 erst ein Drittel seines Erwachsenenlebens gelebt habe! Und mit 50 gerade mal die Hälfte! Das klingt doch gleich ganz anders, nicht wahr?
Fazit
Ein Themenbereich, der zu einer Krise in der Lebensmitte führen kann, betrifft den persönlichen Alterungsprozess. Wenn sich der Selbstwert bislang vom Aussehen gespeist hat, kann der Verlust der jugendlichen Vitalität starke Betroffenheit und Kränkung auslösen. Außerdem wird durch den körperlichen Abbau die Endlichkeit im wahrsten Sinne des Worts vor Augen geführt. Dieses Erkennen wirkt intensiv und ruft Ängste hervor.
Das Altern ist allerdings nur ein kleiner Teil im Puzzle der Wirrungen der Lebensmitte .