Eva Dörenthal hat Bauchspeicheldrüsenkrebs überlebt, Andrea Kdolsky kämpft aktuell mit einem neuroendokrinen Karzinom, steckt mitten in der Therapie. Beide wehren sich dagegen, Krebs als dogmatisches Todes- urteil hinzunehmen, wie es teilweise nach der Berichterstattung rund um das Ableben von Niki Glattauer zur Norm erhoben wurde. Ein Gespräch über Kraft, Chancen, Hoffnung und große Versäumnisse beim Schaffen eines entsprechenden Umfelds für Menschen, die gegen Krebs kämpfen.
WIENER: Lasst uns zunächst viel- leicht benennen, womit ihr beide zu kämpfen hattet oder habt.
Eva Dörenthal: Anfang 2023 erhielt ich die Diagnose Bauch- speicheldrüsenkopfkarzinom, ausgehend von einem Gallen- gangskarzinom. Ich kam sehr schnell in gute ärztliche Hände, wurde rasch operiert und bekam anschließend zwölf Zyklen der klassischen FOLFIRINOX-Chemotherapie. Ich durchlebte alles, was man als Krebserkrankte durchlebt. Obwohl die Aussichten nicht die besten waren, stand ich schnell wieder auf. Ich habe einen Sohn, der damals elf Jahre alt war, da kommt Aufgeben vorneweg nicht in Frage. Auch die Tatsache, dass ich alleinerziehend bin, gab mir viel Antrieb und große Motivation zu kämpfen. Meine Familie hat mich durchgetragen; meine Rahmen- bedingungen waren ein Segen. Ich sah aber auch viele andere, die in einer ähnlichen Situation nicht das Glück hatten, ein so gut funktionierendes ärztliches Netzwerk oder aber entsprechenden familiären Rückhalt zu finden.
WIENER: Hast du von Anfang an unterschwellig wahrgenommen, dass die Diagnose als „hoffnungs- los“ oder „Todesurteil“ betrachtet wird?
Eva Dörenthal: Das habe ich nicht nur unterschwellig wahr- genommen, es wurde mir auch durchaus so gesagt. Zwar nicht von den verantwortlichen Ärzten, aber zum Beispiel vom Pflegepersonal im AKH nach meiner Operation. Die sagten: „Das ist ein Todesurteil. Du bist ja noch so jung.“ Das ist heute mein Antrieb, meine Reichweite zu nutzen, um zu sagen: Nein, es ist nicht immer gleich ein Todes- urteil! Es gibt Möglichkeiten; es geht auch um Eigenverantwortung. Vor allem aber fehlte mir damals das Mutmachen. Ich fand niemanden, der Bauchspeicheldrüsenkrebs überlebt hatte. Deswegen finde ich es in dieser großartigen Diskussion, die Niki Glattauer mit seinem offenen Umgang mit dem Thema angestoßen hat, so wichtig, genauso über das Leben wie über den Tod zu reden.
WIENER: Andrea, du bist Ärztin und Patientin. Was hörst du in dei- ner doppelten Rolle oft von außen?
Andrea Kdolsky: Eines der großen Probleme ist dieses Mitleid, dieses „O je“ und „Uuuh“, das manch- mal ganz automatisch über einen hereinbricht. Als Ärztin und Patien- tin – so heißt ja auch mein Buch: „Von der Ärztin zur Patientin“ – habe ich natürlich eine Doppelrolle. Ich weiß, worum es geht. Ich sehe ein CT und weiß, was es bedeutet; ich kenne die wissenschaftliche Literatur und die Statistiken. Ich weiß, wer wie lange überlebt. Das ist natürlich ein Nachteil, weil es schnell Illusionen raubt. Der Vor- teil ist aber, dass ich mit meinen behandelnden Ärzten auf Augen- höhe reden kann. Ich bin angeb- lich auch eine sehr angenehme Patientin, weil ich sie lasse. Ich mische mich nicht ein. Ich bin Anästhesistin, keine Onkologin. Ich bin auf ihren Rat angewiesen und lasse das auch zu. Ich kenne genug Kollegen, die den behandelnden Ärzten ständig erklären wollen, wie die Medizin funktioniert. Das macht Ärzte nur grantig.
Eva Dörenthal: Ich vertraue meinen Ärzten auch absolut. Ich höre zu, frage nach, aber ziehe dann auch mit. Ich erlebe oft, dass Menschen sich zu offensiv Zweit- und Drittmeinungen einholen und dadurch extrem verunsichert werden, irgendwann jede Chemotherapie in Frage stellen.
Andrea Kdolsky: Das stimmt. Die Medizin wird unglaublich komplex. Man kann nicht mehr Allgemeinmediziner sein, man muss hochspezialisiert sein. Die Entwicklung in der Forschung ist faszinierend, aber man kann kaum mithalten, wenn man nicht vom Fach ist. Ich versuche, als Patientin, mich einzulesen und die richtigen Fragen zu stellen. Ich frage zum Beispiel aktiv danach, an Stu- dien mit neuen Medikamenten teilzunehmen, weil ich hier gute Chancen sehe.
WIENER: Kannst du uns kurz deine bisherige Krankengeschichte erörtern?
Andrea Kdolsky: Gerne, klar. Zuerst hatte ich ein Plattenepithelkarzinom im Darm – HPV- induziert übrigens, deswegen rate ich dringend zur HPV-Impfung. Es war unproblematisch, ohne Metastasen und nach 30 Bestrahlungen geheilt. Dann kam das wirklich Unangenehme: ein neuroendokrines Karzinom (NEC). Das ist sehr selten, hor- monell gesteuert, kleinzellig und hochgradig metastasierend. Man weiß wenig darüber. Ein Arzt sagte: „Das ist, wie wenn du eine Handgranate im Körper hättest.“ Dieser Satz hat mich schon ziemlich ausgehoben. Man denkt sich ja zuerst, alles halb so wild, nicht angenehm, aber machbar, Bestrahlung, Therapie, geht schon, man wird da schnell ein bissel überheblich. Und dann hörst du auf einmal, du hast etwas, das aller Voraussicht nach nie geheilt werden kann. Ein Schock.
WIENER: Die beiden Krebserkrankungen so knapp hintereinander hatten keinen Zusammenhang?
Andrea Kdolsky: Nein. Ich war gerade von der ersten völlig genesen. Dann wollte ich zur Erholung nach Griechenland fliegen und erlitt am Flughafen einen Grand-Mal-Anfall. Ich nahm das eher leicht, wollte trotzdem fliegen, worauf mein Exmann, den ich danach zufällig kontaktierte, höchst besonnen reagierte. Er rief meinen Arzt an und der sagte: „Die fliegt gar nirgends hin, sondern die setzt sich in ein Taxi und kommt zu uns ins Spital.“ Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Im CT wurde eine tennisballgroße Metastase rechts frontoparietal mit einem Ödem festgestellt. Ich wurde sofort ope- riert, die Histologie zeigte dann das neuroendokrine Karzinom. Da bin ich dem Tod wirklich knapp von der Schaufel gesprungen. Man weiß nicht: Was wäre in 10.000 Meter Höhe mit dem Ödem passiert? Welche Behandlung hätte ich in Heraklion bekommen? Da denke ich mir in Hinblick auf mein diagnostiziertes „Todesurteil“: Das Ablaufdatum war offensichtlich noch nicht da gewesen.
Eva Dörenthal: Hast du dann sofort mit der Chemotherapie begonnen?
Andrea Kdolsky: Was da begann, war mein Leben mit Metastasen. Man kann das ja fast witzig sehen: Dieses Karzinom ist so schräg, dass es Metastasen in den eigentümlichsten Körperregionen streut. Ich meine, 99 Prozent der Österreicher haben gar keine autochthone Rückenmuskulatur – ich habe sogar eine Metastase drin (lacht vergnügt) ... aber bleiben wir ernst. Die Metastasen haben Chemo nötig gemacht. Und wenn die Strahlentherapie zuvor noch recht überwindbar war – bei der Chemotherapie habe ich das erste Mal gespürt, dass reines Gift durch meinen Körper läuft. Ich lerne durch meine Krank-heit täglich Demut. Auch bei der Chemo war ich am Anfang noch arrogant und dachte, es sei alles kein Problem, aber jetzt war ich bei der fünften Chemo. Sie akkumuliert, das Depot wird mit jedem Mal mehr, und das schwächt den Körper. Das Gehör, das Sehen, der Geschmack – alles wird schlechter, weil alle sich schnell teilen- den Zellen angegriffen werden. Die Übelkeit ist vernichtend. Ich lag drei Tage im Bett und habe gewimmert. Ich hasse mich dafür, weil ich das ja eigentlich gar nicht bin. Zum ersten Mal konnte ich meinen Körper nicht überrumpeln. Es ist kaum vorstellbar, wie übel einem sein kann, es ist eine Herausforderung, bis zum Klo oder in die Dusche zu kommen.
WIENER: Hast du dir in diesen Momenten gedacht, das hört schon irgendwann wieder auf, oder denkt man, das nimmt kein Ende?
Andrea Kdolsky: Also ich habe nicht geglaubt, dass es ein Ende hat. Ich meine, ich weiß es natürlich aus der Literatur und aus vielen Berichten, aber zu dem Zeitpunkt, direkt in der Situation, habe ich es nicht geglaubt. Ich habe hemmungslos geheult, und du hast vor allem ein Problem, und ich glaube, auf das muss man verstärkt eingehen in dieser Thematik: Ich bin glücklicher Single, wie ich immer sage. Aber so alleine, ohne jede Ablenkung, habe ich in dieser Situation begonnen, viel über den Tod nachzudenken. Ist er jetzt da? Führt das, was ich hier gerade spüre, jetzt zum Sterben? Bin ich schon so müde, weil das die letzten Atemzüge sind? Ich hatte unglaublich viel Raum für solche Gedanken, und das hat mich immer mehr hinunter- gezogen in eine Abwärtsspirale. Ich bin ein Mensch, der vor Leben sprüht, ich will noch nicht sterben. Aber nach diesem Mal muss ich sagen: Ich rutsche genauso in die Depression ab.
Eva Dörenthal: Ich glaube, wir kommen hier an einen wichtigen Punkt, egal ob man als Erkrankter in einer Beziehung ist oder nicht. Das Gesundheitssystem muss da ansetzen. Patienten, die nach einer Chemo nach Hause gehen, brauchen Unterstützung, und zwar ziemlich spezielle, gezielte Unterstützung. Was Familie und Freunde, dein nächstes Umfeld, das meist nicht weiß, wie man mit dir in diesem Moment umgehen sollte, in den Fokus rückt.
Andrea Kdolsky: Da stimme ich absolut zu. Wir sind in der Onkologie in Österreich großartig, was Überlebensraten und Therapien betrifft, ganz toll, wirklich, ein Glück, mit dieser Diagnose hier zu leben. Aber wir sind schlecht bei den Rahmenbedingungen, in der Obsorge, im Schaffen eines „gesunden“ Umfelds für die oder den Erkrankte/n. Diese Aufgaben können nicht immer von Freunden oder Partnern erfüllt werden, weil es emotional oft zu nah ist. Ich erlebte Freunde, die mir nur von ihren eigenen Wehwehchen erzählten, um sich auch als krank zu fühlen. Oder die, wenn sie einen zum ersten Mal nach der Erkrankung sehen, sagen: „Du schaust ja so gut aus!“ Ich habe aber Augen im Kopf und weiß, wie ich vor der Therapie ausgesehen habe. Klar, die meinen das nicht bös, aber bei mir kommt das an wie ein: „Du hast ja gar nichts.“ Ich sage immer: Behandelt mich normal. Streitet mit mir. Gebt mir nicht immer recht, nur weil ich krank bin. Das macht die Situation unnatürlich. Man braucht also definitiv Schulungen für das Umfeld von schwer an Krebs Erkrankten.
Eva Dörenthal: Es gibt da die verschiedensten Verhaltensmuster. Die, die dir Gutes tun wollen, dabei übers Ziel hinausschießen. Die, die mit dir nur mehr über Krankheiten reden, die dich keinesfalls beleidigen wollen, sich alles gefallen lassen. Und die, die einfach verschwinden. Ich habe mich von Anfang an dafür entschieden, sehr offen mit der Erkrankung umzugehen, offen darüber zu sprechen, tabulos. Und habe damit auch manche Menschen – gottlob aber nur außerhalb der Familie – überfordert. Aber da müssen die durch. Ich finde, das ist ein essenzieller Punkt: Wir sterben alle irgendwann. Es muss auch über den Tod gesprochen werden dürfen, tabulos.
Andrea Kdolsky: Mich irritiert dieses Tabuisieren, vor allem, wenn dann die Kirche auch noch daherkommt und das Postulat beschwört: Du hast zu leiden. Gesellschaftspolitisch haben wir den Trend, dass wir alle
jung, dynamisch und leistungs- stark bis ins hohe Alter bleiben müssen, und mit gefühlt achtzehn hüpfen wir dann in die Kiste. Klar zerstört das jede offene Kommunikation.
WIENER: Ist ein „geschultes“ Umfeld die halbe Miete zur Heilung?
Andrea Kdolsky: Ich würde sagen, die Viertelmiete. Aber ja, es ist ein großer Beitrag. Ein größerer, als man glaubt.
Eva Dörenthal: Du kannst dich nicht rein auf die Medizin verlassen, du brauchst das Aufstehen, du brauchst das Kämpfen, und dafür brauchst du einen Back- ground, wo du sagst, ja, ich weiß, da ist jemand.
WIENER: Und wie sieht es mit schlauen Ratschlägen aus dem Umfeld aus? Kann einen das nicht in den Wahnsinn treiben, vor allem, wenn weitreichende, folgenschwere Entscheidungen über den weiteren Weg vor einem stehen?
Andrea Kdolsky: Grundsätzlich gilt: Eine schnelle, therapeutische Intervention ist auf jeden Fall das Wichtigste. Und hier tritt wieder ein großes und schwerwiegendes Dilemma in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient zutage, das vielen überhaupt nicht bewusst ist. Für mich als Ärztin ist die Diagnose das Wichtigste. Bis dahin tüftle ich, suche nach Lösungen, nach Tatsachen, wie bei „Criminal Intent“ im TV. Und wenn ich dann eine Diagnose habe, dann ist für mich „job done“. Weil dann gibt es für die jeweilige Diagnose eine festgelegte Therapie und ab da geht alles seinen geregelten Weg. So. Für den Patienten beginnt hier aber erst der Wahnsinn. Ich muss so schnell wie möglich mit der Therapiephase beginnen, habe keine Zeit, muss mich entscheiden, kenn mich nicht aus, 1000 Optionen, vor allem, wenn man dann googelt, weil man da ja mit Sicherheit spätestens im zweiten Absatz stirbt.
Eva Dörenthal: Ich glaube allerdings schon, dass es sehr wichtig ist, dass ich als Patientin wahrnehme, dass ich die Entscheidung habe ...
Andrea Kdolsky: ... klar ist das gut, auch zu wissen, dass Befunde dir gehören und nicht dem Spital. Das ist ja auch eine eher neue Entwicklung. Bis vor 10, 15 Jahren war es null üblich, dass der Patient sich das Recht oder die Chuzpe herausnimmt, da überhaupt erst mitzureden ...
WIENER: Das ist dann also der Zeitpunkt, wo einem der Arzt mitteilt, welche Optionen man hat. Und welche Chancen welche Option für einen bereithält. Ist das der Zeitpunkt, wo man, Stichwort Glattauer, auch sagen könnte oder sollte: Es wäre auch eine Option, Schluss zu machen?
Andrea Kdolsky: Ich sage immer: Der Arzt soll dem Patienten alle möglichen Varianten mit allen Pros und Contras vorschlagen und wenn der Patient austherapiert ist, also nur mehr palliativ behandelt werden kann, dann soll man ihm das auch sagen. Aber die Option „Du könntest dich umbringen“ darf nicht Teil dieses Therapiegesprächs sein. Die Entscheidung für das Sterben soll einem nicht zu leicht gemacht werden.
WIENER: Provokant gefragt: Warum nicht?
Andrea Kdolsky: Na ja, du kannst es dir ja leicht machen. Weil ob du jetzt wie Marilyn Monroe eine Packung Schlaftabletten nimmst oder aber den Schierlingsbecher von der Ärztin gereicht bekommst ... und ich möchte hier vielleicht klarstellen, rein vom Rechtlichen her: Du bekommst Hilfe beim Suizid, aber er wird dir nicht abgenommen.
Eva Dörenthal: Natürlich ist der Tod das Endgültigste überhaupt, da gibt es kein Zurück mehr, die Entscheidung dafür ist keine leichte und soll es auch nicht sein. Schon allein deshalb sollte es nicht Usus sein, dazu aktiv ermutigt zu werden. Quasi als gleichwertige Entscheidung neben einer Therapie.
Andrea Kdolsky: Dann kommen hier natürlich auch rechtliche und gesellschaftliche Faktoren zum Tragen. Was, wenn der Tipp zum Suizid vielleicht doch aus dem Umfeld kommt, lanciert wird? Das zu überprüfen wird richtig schwer, schier unmöglich. Man bedenke auch, dass man, wenn man vor dieser „Entscheidung“ steht, ja auch in einer psychischen Ausnahmelage ist, in der die Fähigkeit, Dinge richtig einzuschätzen, schwerst getrübt ist. Da können die falschen Ratschläge eine Menge anrichten. Man muss ja auch in dieser äußerst schwierigen Situation einfließen lassen, wie viele schöne Seiten das Leben hat. Und zumindest versuchten, dem Betroffenen den Tunnelblick, den er in dieser Situation sowieso hat, zu erhellen, als ihm auch noch jede Illusion zu nehmen.
Eva Dörenthal: Natürlich ist die Situation keine angenehme, wenn du weißt, du bist austherapiert, es gibt keine Heilung mehr, nur noch Linderung der Schmerzen. Das willst du weder dir noch deinem Umfeld antun, elendiglich zu verrecken, um das mal direkt zu sagen.
WIENER: Speziell in deinem Fall, Eva, war relativ früh klar: Die Chance, dass du da rauskommst, ist sehr klein.
Eva Dörenthal: Natürlich hast du das die ganze Zeit im Kopf: Nur sechs Prozent überleben das, sechs Prozent. Das ist nicht viel. Aber ich habe recht bald den eisernen Willen entwickelt, zu diesen sechs Prozent gehören zu wollen. Im Gegenteil: Das war für mich sogar irgendwo etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Die Fronten waren geklärt, sozusagen. Ich hab mich dann regelrecht geärgert, wenn mir wer gekommen ist per „Mein Gott, Sie sind ja noch so jung!“ oder „Das arme Kind!“.
WIENER: Wie ist dein aktueller Gesundheitsstatus?
Eva Dörenthal: Ich bin momentan zwei Jahre krebsfrei ab Chemo-Ende. Der Tag vorm Kontroll-CT ist immer ein wirklich beschissener Tag, mit viel Angst und viel Tränen, das geb ich schon zu, aber ansonsten lebe ich ziemlich gut. Die Erfahrung hat mir vieles im Leben ermöglicht, mir eine Stimme gegeben. Ich musste die Hosen runterlassen, körperlich und seelisch. Also hab ich irgendwann beschlossen, ich scheiße mir nichts mehr. Es gibt kaum etwas, das mir heute noch Angst macht, und das ist ein herrliches Gefühl. Ich bin nicht dankbar für die Krankheit, aber dankbar für das, was ich daraus gemacht habe.
Andrea Kdolsky: Ich persönlich habe zwei Dinge, die mich zum Nachdenken über den assistierten Suizid bringen würden: massive Schmerzen und, viel mehr noch, völlige Abhängigkeit. Als Single ohne Familie im Rücken wäre der Gang ins Pflegeheim für mich der Punkt, wo ich es mir überlegen würde. Wenn nichts mehr therapierbar ist, das Ende nur noch Leiden bedeutet und es nicht mehr würdevoll ist, da würde ich auch nicht mehr wollen. Aber davon bin ich jetzt, heute, Gott sei Dank, noch ziemlich weit entfernt.
WIENER: Wie schaffst du es, inmitten dieser anstrengenden, zehrenden Therapie diese ungeheure Kraft zu entwickeln?
Andrea Kdolsky: Das Wichtigste für mich ist Information. Ich habe neulich nach meiner vierten Chemo einen CT-Befund bekommen, laut dem sich die Metastasen im Körper um zwei Drittel verkleinert hatten –
aber dann fand man 15 Mikrometastasen in den Hirnhäuten. Ich war panisch, konnte mir das nicht erklären – was für mich immer das Schlimmste ist. Wenn ich nicht verstehe, was in mir vor- geht. Erst mein Strahlentherapeut erklärte mir dann: Die Blut-Hirn- Schranke verhindert, dass die großen Chemo-Moleküle ins Hirn gelangen, daher die neuen Metastasen. Das war ein Aha-Moment, der mir wieder Kraft gab; so was motiviert mich ungemein, weiterzukämpfen.
WIENER: Also kann die richtige Information die Entscheidung fürs Leben beeinflussen?
Andrea Kdolsky: Ja, aber nur dann, wenn der Arzt lernt, auf Augenhöhe zu kommunizieren und Bilder zu schaffen, die die Patienten verstehen. Man bekommt als Arzt ja keine Schulung dafür, wie mit den Patienten umzugehen ist. Gerade das wäre aber so wichtig. Und das bringt mich zu meinem frischesten Projekt, das ich nun betreuen darf, und das ist eine der spannendsten Aufgaben der letzten Jahre, auf die ich mich riesig freue: Der Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil baut im Burgenland, konkret in Oberwart, das erste Maggie’s Centre in Österreich auf und ich darf das für ihn organisieren. Maggie’s Centres gibt es in England, da kommen sie her, in Barcelona, in Singapur, in Groningen und jetzt eben bald auch im Burgenland. Es sind dies komplementärmedizinische Zentren, die an Onkologien angeschlossen sind. Dort werden alle, wirklich alle, alternativ-medizinischen Möglichkeiten, die es gibt, angeboten, außerdem gibt es Selbsthilfegruppen, die Patien- ten helfen sollen, ihre eigene Diagnose und also ihre Krankheit richtig zu verstehen. Es gibt Schulungen für Angehörige, all das, was wir vorhin besprochen haben, dass in Österreich nicht vorhanden ist. Es ist eine unglaublich visionäre Geschiche, die der Doskozil da anstößt. Und ich bin da von Anfang an dabei, was mich riesig freut.
WIENER: Du hast mal in einem Interview gesagt, Krebs wird in 50 Jahren eine chronische Krankheit sein ...
Andrea Kdolsky: Richtig. Die GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) hat eine Studie, die besagt, dass 2050 jede zweite Österreicherin Krebs haben wird. Damit wird es eine chronische Erkrankung wie Diabetes, was ja auch tödlich sein kann, aber so nicht wahrgenommen wird, zumindest nicht im gleichen Ausmaß wie Krebs. Wir können inzwischen vier Fünftel aller Krebserkrankungen heilen und die Forschung schreitet unglaublich schnell voran. Es gibt also allen Grund, den Erkrankten Hoffnung zu geben. Wir müssen es nur lernen.
WIENER: Was ist mutiger, den Stecker zu ziehen oder den Kampf aufzunehmen, so hoffnungslos
er statistisch gesehen auch sein mag?
Eva Dörenthal: Beides ist mutig, da geht sich für mich keine Wertung aus. Du brauchst Mut, das Ende einzuleiten, und du brauchst Mut, um mit einer chronischen Erkrankung zu leben.
Andrea Kdolsky: Ich finde und empfinde nach wie vor die Hoffnung als irrsinnig starkes Phänomen, als wichtigste Antriebsfeder überhaupt, die unglaubliche Energien freisetzen kann. Daher lautet der Umkehrschluss: Es erfordert unglaublichen Mut, aus dem winzigen Funken Hoffnung, den es immer irgendwo gibt, eine absolute Nullnummer zu machen und zu sagen, ich entscheide, dass es jetzt zu Ende ist. Aber klar, auch eine Therapie durchzustehen ist nichts für schwache Nerven.