Dominik Borde, vierfacher Vater und Beziehungscoach für Singles und Paare in Wien, kennt die Nöte von Eltern, denen es schwerfällt, ihre fast erwachsenen Kinder ziehen zu lassen. Frauen seien häufiger betroffen als Männer, sagt er. Probleme würden vor allem dann auftreten, wenn Mütter es verabsäumt hätten, etwas anderes zu tun, als sich um ihre Kinder zu kümmern.
„Jetzt muss sie selber wurschteln!“, meint Mutter Bauer. Und doch blieb die Sorge: „Wird es reichen, was wir ihr in all den Jahren beigebracht und mitgegeben haben?“ Das fragten sich die Eltern etwa mit leichter Wehmut, als sie der älteren Tochter beim Bezug ihrer ersten Studentenwohnung halfen. Das Mädchen hingegen genoss nach anfänglicher Nervosität ihren Sprung in die Unabhängigkeit nach dem Motto „Die Welt gehört mir“.
„Flüggewerden ist ein Drang von klein auf, und es ist das Ziel, auf das wir als Eltern hinarbeiten müssen. Das hatten wir immer im Blick“, betont Maria Bauer. Als Johanna an ihrem zehnten Geburtstag der Mutter die Zimmertür vor der Nase zuknallte und absolut keine „Nachbesprechung“ ihrer Kinderparty wollte, sei das ein skurriles, aber deutliches Zeichen der Abgrenzung gewesen. „Ab heute bin ich modern“, meinte die Kleine, ließ Kurt Cobain in voller Lautstärke laufen und tauschte die friedlichen Kelly-Family-Plakate an ihren Wänden durch die des wilden Rockidols aus. „Das war ja noch zum Schmunzeln“, erinnern sich die Eltern. Diskussionen in der Pubertät über mögliche und unmögliche Kleidung, über Schulaufgaben, die erledigt werden mussten, über Mithilfe und gegenseitige Rücksichtnahme unter dem gemeinsamen Dach waren schon weniger lustig, aber gerade deshalb hilfreich: „Vielleicht freundet man sich so leichter damit an, dass es schon richtig ist, wenn die Jungen einmal ihre eigenen Wege gehen.“
Im Gegensatz zur älteren Johanna war die jüngere Barbara immer „the good guy“ (der gute Kerl), wie sie selbst sagt, sie brauchte die Rebellion zur Abgrenzung nicht. Mittlerweile leben beide Töchter dauerhaft in ihren eigenen vier Wänden, mit netten Partnern, nach ihrer eigenen Fasson. „So ist es gut, so soll es sein. Lieber rechtzeitig loslassen, als alt gewordene Kinder im eigenen Haus“, formulieren die Bauers ihre „Horrorvorstellung“. Sie haben auch kein Verständnis für Eltern, die ihren erwachsenen Kindern immer weiter hinterherrufen, weil sie ihre eigene Vorstellung von einem ordentlichen Leben durchsetzen wollen. „Nur nicht mehr hingreifen!“ lautet die Devise der Bauers. Was dabei hilft: die eigenen Ansprüche nicht über die Kinder zu stülpen. Dass ihr solch „falscher Perfektionismus“ tatsächlich nicht dazwischenfunkt, habe sie selber überrascht, sagt Maria Bauer: „Ich hatte nicht einmal den Impuls, Johanna zu fragen, wann sie einmal aufräumen und putzen wird, als ich in ihrer Wohnung war.“
„Es ist gut, nicht ununterbrochen an der Nabelschnur zu zupfen“, resümiert das Ehepaar. Dazu gehöre auch, den Jungen nicht mit ständigen Anrufen unterschwellig das Gefühl zu vermitteln, dass sie es alleine nicht schaffen. Damit würde man es ihnen nur noch schwerer machen, ein behütetes Zuhause hinter sich zu lassen. Aufs Flüggewerden kann man sich vorbereiten. Den Realitäts-Check bestehen muss aber jede und jeder für sich.
Anregungen, um Eltern den Start in ein Leben ohne Kinder im Haus zu erleichtern
– Welt der Frau - Sept. 2014