Paare, die zu mir auf die Couch kommen, weil sie ihre Beziehungen verbessern oder retten möchten, berichten oftmals vom gleichen Phänomen: Sehr häufig wird aus einer Mücke ein Elefant gemacht und immer wieder beginnen dieselben Streitereien von vorn. Die Anlässe, aus denen Streits entstehen, sind von Paar zu Paar und von Fall zu Fall unterschiedlich, die Folgen immer gleich; weniger Nähe und mehr Unsicherheit in der Beziehung. In diesem Artikel erfährst du, wie du in Zukunft deinen Partner positiv beeinflussen kannst und am besten dafür sorgst, daß es erst gar nicht zu einer Eskalation kommt. Das Zauberwörtchen heißt „Reaktanz“.
Auch wenn wir es ungern hören, ob es uns nun schmeckt oder nicht, Menschen sind in ihrem Verhalten ziemlich berechenbar. Sowohl die Werbung als auch die Politik wissen das und nützen die Vorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens geschickt für ihre Zwecke.
Aber auch in Paarbeziehungen lässt sich vieles vorhersagen und berechnen – Erfolg und Misserfolg hinterlassen ihre Spuren. Aus der Verhaltenspsychologie kennt man ein Phänomen, welches unter dem Ausdruck Reaktanz (Jack Brehm) bekannt ist. Reaktanz ist gleichzusetzen mit dem Begriff Widerspenstigkeit und wirkt bei Paaren als eines der destruktivsten Beziehungsmuster überhaupt.
Was ist Reaktanz? Hier ein kleines Beispiel aus der Praxis: Stell dir vor du siehst auf einer Wand ein Verbotsschild mit folgender Aufschrift:
SCHREIBEN SIE UNTER GAR KEINEN UMSTÄNDEN AN DIESE WÄNDE!
Was denkst du in diesem Moment? Glaubst du, dass dieses Verbot nützlich ist oder juckt es dich förmlich in den Fingern, darauf loszukritzeln?
Pennebaker J. und Sanders D. haben in einer Studie die Effekte von Autorität auf unsere Reaktanz getestet. Folgendes Ergebnis wurde ermittelt: Zwischen dieser oben beschriebenen Aufforderung „SCHREIBEN SIE UNTER GAR KEINEN UMSTÄNDEN AN DIESE WÄNDE!“ und der Aufforderung „Schreiben Sie bitte nicht auf diese Wände.“ wurde die stärkere Aufforderung weit häufiger missachtet. Je vehementer das Verbot, umso eher die Wahrscheinlichkeit einer Missachtung.
Umgedeutet auf Partnerschaften bedeutet das: Je mehr man einen Partner einschränkt oder über ihn bestimmen will, je mehr man ihn/sie drängt oder von ihm/ihr fordert, desto eher wird sich dieser wiedersetzen.
Menschen wollen geliebt werden - so wie sie sind! Fühlen wir uns abgelehnt, bestraft oder eingeengt, setzt das rationale Denken häufig aus, und selbst wenn es uns nachhaltig mehr schadet, reagieren wir mit Revolution und wehren uns dagegen. Unbewusst reagieren wir widerspenstig, weil wir uns so, wie wir sind, nicht geliebt und angenommen fühlen.
Die 4 Hauptbereiche, in denen sich Reaktanz zeigt:
Fühlen sich Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt, so reagieren sie mit Reaktanz, also widerspenstig. Jeder Mensch hat das tiefe innere Bedürfnis nach Freiheit und Entscheidungsrecht. Bereits Kleinkinder zeigen in der sogenannten Trotzphase ihren Drang nach Entscheidungsfreiheit. In dieser Phase entdecken und erfahren sich Kinder in ersten Schritten als MacherInnen und GestalterInnen ihrer Welt.
Der Wunsch nach Selbstständigkeit dauert bei Menschen ein ganzes Leben an. Werden in einer Beziehung Verbote oder Ultimaten ausgesprochen, schürt man beim Gegenüber automatisch Widerwillen und Reaktanz.
Besonders eifersüchtige Menschen beispielsweise laufen stark Gefahr, Verhaltensweisen bei ihren Partnern zu provozieren, die sie im Grunde zu vermeiden versuchen! Gerade mit der Vorannahme, der Partner würde fremdgehen und nicht treu sein können, unterstellt der Eifersüchtige ein hinterhältiges und betrügerisches Verhalten - sicher kein Aphrodisiakum für die Liebe! Hinzu kommt, dass der Partner des Eifersüchtigen sich zunehmend beschränkt und eingeengt fühlt und als Reaktion darauf nach und nach die Flucht antritt.
So passiert häufig durch Reaktanz und nicht durch Zufall, dass gerade besonders eifersüchtige Menschen PartnerInnen haben, die fremdgehen und Affären pflegen.
Dem Partner Positives unterstellen Lösung: Statt Verbote und Forderungen auszusprechen, unterstelle deinem Partner das Beste von sich. Menschen verkehren gerne mit Menschen, in deren Gegenwart sie sich wohlfühlen - mit sich selbst. Der Satz: „Mein Schatz, ich spüre wie sehr du mich liebst, schätze deine Ehrlichkeit und weiß, dass ich mich immer auf dich verlassen kann“, fühlt sich für deinen Partner weit besser an, als: “Gehst du eh nicht fremd?“oder: „Wehe wenn du mich betrügst!“
Ähnlich verhält es sich mit Druck. Wann immer Menschen unter Druck stehen, reagieren sie widerspenstig. Die Supermarkt-Parkplatz-Studie hat verdeutlicht, wie negativ es sich auswirkt, auf andere Menschen Druck auszuüben.
R. Barry Ruback und Daniel Juieng haben 240 Versuchspersonen, 120 männliche und 120 weibliche, beim Ausparken ihrer Autos beobachtet, während sie von einem anderen Autofahrer bedrängt wurden. Das Ergebnis war erstaunlich: Immer dann, wenn der Drängler oder die Dränglerin hupte, wurde er/sie vom Ausparkenden deutlich länger warten gelassen.
Fazit: Je mehr Stress ein Partner macht, damit sich der andere beispielsweise beeilt, desto länger wird sich sein Gegenüber Zeit lassen. Fühlen wir uns unter in einem Bereich unter Druck gesetzt und unserer Freiheit beraubt, reagieren wir widerspenstig und mit Gegenwehr.
Wie Reaktanz dein Sexleben beeinflusst
Zu wenig Sex ist ein sehr häufiges Thema der Paare, die zu mir kommen. Doch die Lust vergeht, wenn du Lust haben musst. Sobald ein Partner zu drängeln beginnt und ständig auf Sex pocht, macht das Gegenüber tendenziell eine Gegenbewegung. Um uns als freier und eigenständiger Mensch zu behaupten, bleibt uns in diesem Fall gefühlt kaum eine andere Wahl, als das Gegenteil davon zu tun, was man von uns erwartet.
Freiheit fordern Menschen für sich auch ein, wenn sie kontraproduktiv ist.
Lösung: Statt deinen Partner mit der Aussage: “Nie haben wir Sex! Ich versteh nicht, warum du dich nicht einfach entspannen kannst?!“ zu bedrängen, bewirkt die Aussage: “Heute werde ich dich so richtig verwöhnen! Entspann dich ganz einfach, du darfst dir alles wünschen, nur Sex bekommst du keinen“ oft einen positiven Regelbruch. (Reaktanz hat auch ihre positiven Seiten)
Die folgende Studie erläutert, reaktantes Verhalten unter knappen Ressourcen: Stelle dir vor, vor dir lägen zwei Bücher. Den Titeln ist zu entnehmen, dass es sich um erotisch-pornographische Inhalte handelt.
Auf dem einen Buch steht nur der Titel, auf dem anderen der Titel samt einer Altersbegrenzung, formuliert mit folgenden Worten: NUR FÜR ERWACHSENE! Studien haben ergeben, dass das Buch mit Altersbegrenzung weit häufiger präferiert wurde, als jenes ohne. Es handelte sich aber beide Male um ident das gleiche Buch.
Durch diesen Test kannst du herausfinden, wie manipulierbar du durch Reaktanz wirklich bist! Viel Spaß damit!
Ist eine Sache also exklusiv oder limitiert, so steigt auch das Interesse an dem Produkt. Je schwerer etwas zu haben ist, umso attraktiver wird es.
Wissend um dieses menschlich berechenbare Verhalten, werden Verkaufszahlen durch das Suggerieren einer permanenten Ressourcenknappheit oder Limitierung geschickt in die Höhe getrieben. Oder hast du wirklich geglaubt, Apple, einer der größten Computerhersteller weltweit, schafft es nicht, ausreichend iPads und iPhones herzustellen? Hast du wirklich gedacht, dass die Schlangen vor den Verkaufsstellen - immer wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt -, ungeplant sind?
Menschen auf Partnersuche sollten gerade in der Kennenlernphase ihre eigene Exklusivität in den Vordergrund rücken. Menschen, die kaum wählerisch sind und sich schnell auf jeden oder jede einlassen, werden von ihrem Umfeld als weniger begehrenswert eingestuft. Ist eine Sache schwer zu haben und scheint begehrenswert, so steigt ihr Wert ganz von allein.
Lösung: Stell dir vor wie es wäre, wenn dein Selbstbewusstsein sich dort befinden würde, wo es hingehört. Stell dir weiter vor, du wärst das Beste, was einem in einer Beziehung passieren kann, ein toller Fang, eine besondere Ausnahme, ein leidenschaftliches Geschenk an einen zukünftigen Partner! Wie würdest du dich verhalten, nämlich schon vorm Kennenlernen? Inwieweit wärst du wählerischer oder weniger bedürftiger? Würdest du dir so manche Fragen ersparen?
Zeig was du wert bist und verhalte dich beim Kennenlernen weniger emotional abhängig und bedürftig. Agiere so, als ob du es dir zutraust, eine Bereicherung im Leben des anderen zu sein.
Kongruentes Verhalten ist das Hauptmerkmal von Authentizität. Menschen haben einen sehr, sehr sensiblen Sensor dafür, ob ein Gegenüber sich authentisch verhält oder nicht. Wann immer Menschen versuchen, uns offensichtlich in eine Richtung zu bewegen oder zu beeinflussen, reagieren wir reaktant.
Ein Beispiel: Wenn ein Mann beim Fortgehen eine Frau im Visier hat und alles Mögliche unternimmt, um sie an diesem Abend ins Bett zu kriegen, wird sie sein Spiel mit großer Wahrscheinlichkeit bald entlarven.
Plumpe Manipulationsversuche jeglicher Art lehnen wir tendenziell ab, da die Fremdbestimmung den Wunsch zur Auflehnung stärkt. Auch innerhalb einer Liebesbeziehung ist spürbar, ob der Partner etwas ehrlich meint oder nur sagt, um etwas für sich "auszunützen“. Fühlen sich Menschen manipuliert wie Marionetten, werden sie ablehnend reagieren und sich hintergangen, ausgenutzt oder verletzt fühlen.
Lösung: Vertrauen und Offenheit sind die Basis einer Beziehung. Zur Ehrlichkeit gibt es keine Alternative. Je offener, authentischer bzw. ehrlicher du mit deinem Partner umgehst, desto mehr kann sich auch dein Partner dir öffnen und ehrlich und authentisch sein.
Mit offenem Herz und “leeren Händen“ auf deinen Partner zugehen, verzeihen können und die Wahrheit ansprechen: Diese Form der Kommunikation bewirkt wahre Wunder! Auch wenn du damit kurzfristig riskierst, abgelehnt oder enttäuscht zu werden, auf lange Sicht wird sich ein aufrichtiges Verhalten bezahlt machen.
Wer die Wahl hat, und damit das Gefühl aus eigenem Antrieb zu entscheiden, reagiert wohlwollender auf die Bedürfnisse anderer.
Im Jahr 2000 haben Gueguen N. und Pascual A. eine interessante Studie durchgeführt: 80 SupermarktbesucherInnen wurden von PassantInnen um Geld für eine Busfahrt gebäten.
Gruppe A sagte: „Entschuldigen Sie Madam/ Sir, hätten Sie ein paar Münzen für den Bus, bitte?“
Gruppe B sagte: „Entschuldigen Sie Madam/ Sir, hätten Sie ein paar Münzen für den Bus, bitte? Sie können aber natürlich auch gerne nein sagen und ablehnen.“
Was glaubst du, welche Testgruppe besser abgeschnitten hat? Richtig! Das Ergebnis war überaus beeindruckend, Gruppe B konnte mehr als DOPPELT SO OFT Geld lukrieren als Gruppe A!
Erfahrene Mütter wissen: In der Trotzphase eines Kindes macht es kaum Sinn, ein Kind zu fragen: „Magst du heute die grüne Mütze aufsetzen?“ Das Kind wird prinzipiell mit nein antworten. Argumente wie:„Es ist aber kalt, du brauchst eine Mütze!“ werdenins Leere laufen und im schlimmsten Fall zu noch mehr Gebrüll und Drama führen.
Die gleiche Absicht, nur anders ausgedrückt, lässt dem Kind eine Wahl, es darf die Entscheidung selbst treffen: „Heute ist es kalt. Welche Mütze möchtest du tragen, die grüne oder die rote?“
Fremdbestimmung durch Eltern, Institutionen oder auch PartnerInnen fühlt sich bedrohlich an. Verbote und Zensur lösen den Wunsch nach Gegenteiligem aus! Zudem haben Verhaltensforscher festgestellt, dass Verbote nur wirken, wenn sie ständig ausgesprochen und kontrolliert werden. An Regeln, die wir verstanden haben, uns selbst wichtig sind und niemand kontrolliert, halten wir uns weit lieber.
Formulierungen wie: „Du kannst wählen, es ist deine Entscheidung.“ können entspannend wirken. "Wir müssen! Jetzt! Sofort“ macht Stress. Sätze wie: „Möchtest du gleich oder ein wenig später?“ lassen dem Gegenüber eine Wahl und bewirken häufig überraschend positive Reaktionen.