Gewalt bzw. gewalttätiges Handeln innerhalb einer Beziehung oder einer Familie sind kein Randgruppen-Problem! Gewalt gegen sich selbst und andere zieht sich quer durch alle sozialen Schichten. Die überwiegende Mehrheit aller aktenkundigen Gewalttaten zählen zur “häuslichen Gewalt“, sie werden innerhalb der Familie verübt. Hier erfährst du, was du tun kannst, wenn du in deiner Beziehung von psychischer oder körperlicher Gewalt betroffen bist...
Klara (Name geändert), 35, sitzt verheult auf meiner Couch. Ihr Sohn Lukas ist vor wenigen Tagen 7 Jahre alt geworden und hält die Hand seiner Mutter. Klara sieht mitgenommen aus, denn seit ihr jetziger Mann Peter, 42 und Unternehmer (Name geändert), seinen Hauptauftraggeber verloren hat und die Schulden nicht mehr in den Griff bekommt, rutscht ihm immer mal wieder die Hand aus.
Häusliche Gewalt ist kein Randgruppenproblem
Klara:“ Peter ist nicht der erste Mann, der mich so behandelt. Mein Ex davor war auch schwierig und hat irgendwann angefangen zu trinken. Jahrelang hab ich seine Eifersuchtsattacken, die auch mit Handgreiflichkeiten verbunden gewesen sind, ausgehalten. Irgendwann bin ich dann - nach einem heftigen Streit - samt Kind und Kegel ausgezogen.“
Aus dieser Beziehung entstammt Melanie, ihre leidgeprüfte 14-jährige Tochter. Melanie war es auch, die mich ursprünglich angeschrieben hat, weil sie wissen wollte, was sie gegen den Terror daheim unternehmen kann.
Anmerkung: Kinder, die in einem gewalttätigen Umfeld aufwachsen, stehen selbst unter großem Druck und fühlen sich mitverantwortlich. Viele von ihnen zeigen Auffälligkeiten oder werden krank, um die eigenen Eltern vom Drama abzulenken. Ältere Kinder, die Angst um das Wohl einzelner Familienmitglieder haben, suchen manchmal auch selbst Hilfe.
Klara: „Vielleicht liegt es ja an mir, weil ich mich immer so aufrege, vielleicht ist das eh normal. Meine Mutter hat es auch nicht immer leicht gehabt, mein Vater war genauso.“
Anmerkung: Betroffene sind in der Regel hin- und hergerissen zwischen Angst vor weiteren Gewaltanwendungen, sowie der Hoffnung auf Besserung des Täters. Hinzu kommt häufig Mitleid mit dem Partner.
Wenn du in dieser Spirale aus “Liebe“ und Gewalt gefangen bist - SUCHE DIR DRINGEND HILFE
Opfer von häuslicher Gewalt haben sehr häufig schon in ihren früheren Beziehungen oder in ihrer Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht.
Warum schlagen, misshandeln oder demütigen wir uns selbst und andere?
Die Ursachen für häusliche Gewalt sind sehr unterschiedlich. Zusammengefasst lässt sich sagen: Wenn ein Mensch nicht mehr in der Lage ist, seine Emotionen und Meinungen verbal auszudrücken, erhöht sich in ihm zunehmend der Druck.
An die Stelle fehlender Argumente und Auswege treten dann leider häufig gewaltsame Handlungen.
Die 4 Hauptmotive für Gewalt in Familien
- Das Streben nach Macht: Wenn sich ein Partner machtlos ausgeliefert und unterlegen fühlt und er wieder Kontrolle erlangen möchte.
- Die Sehnsucht, geliebt zu werden: Wenn ein Partner so sehr am anderen hängt, dass er ohne ihn nicht leben kann, den anderen wie ein Kind die Mutter braucht, sich abhängig fühlt.
- Der Wunsch, andere zu schützen und zu lieben: Wenn man jemanden beschützen, seine Liebe zeigen oder beweisen möchte.
- Das Bedürfnis nach Ausgleich und Gerechtigkeit: Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, mir Gerechtigkeit oder Vergebung wünsche.
Ständige Kontrolle und Eifersucht: Gewalttätige Menschen sind häufig enorm eifersüchtig und kontrollieren ihre Partner. Einerseits haben sie Angst davor, verlassen zu werden, gleichzeitig verspüren sie häufig selbst den Drang nach Distanzierung und Flucht.
Klara: „Peter wollte nie, dass ich ausgehe. Auch meine Freundinnen durfte ich nicht treffen, ohne dass wir stundenlang darüber diskutieren mussten. Er hat plötzlich und völlig grundlos angefangen, mir nachzuspionieren und hinter jedem Mann einen möglichen Verehrer vermutet. Ich habe zuerst gedacht, ich hab was Falsches gesagt oder getan und mich bei ihm entschuldigt, doch das machte es nur noch schlimmer. Irgendwann hat er mich dann zum ersten Mal heftig an die Wand gedrückt...“
Anmerkung: Der Eifersüchtige ist bemüht, jeden Außenkontakt seines Partners zu verhindern, weil er (meist grundlos) befürchtet, dass dieser fremd geht. Der Eifersüchtige kann nicht glauben, dass sein Gegenüber freiwillig bei ihm bleibt. Dieses Abhängigkeitsgefühl ist ein häufiger Auslöser gewalttätiger Handlungen.
Warum ertragen Menschen wiederholt Misshandlungen, anstatt sich zu trennen?
Klara :„Ich fühle mich unfähig, die Beziehung zu beenden, ich habe Angst, wovon ich mit 2 Kindern leben soll. Er hat mir außerdem gedroht, sich selbst was anzutun, wenn ich gehe. Was ist, wenn er mir die Kinder wegnimmt...
“Nachdem er richtig ausrastet ist, geht es meist eine Zeit lang besser, tut es ihm leid und sagt, dass jetzt alles anders wird. Doch dann fängt es wieder von vorne an, es reicht die kleinste Kleinigkeit."
Anmerkung: Opfer von Gewalt verlieren mit der Zeit ihre Selbstachtung, sehen sich selbst als Ursache und verharmlosen die Situation, auch aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Der Wechsel zwischen Gewalt und Reue, zwischen Aggression und liebevoller Zuwendung vollzieht sich in immer kürzeren Intervallen und bewirkt beim Opfer den zunehmenden Verlust der Kontrolle und Handlungsfähigkeit.
Eine Liste von Organisationen, an die du dich wenden kannst, findest du weiter unten.
Nur wer stark liebt, kann auch abgrundtief hassen – stimmt das?
Nur weil einer im Beisein eines anderen seine Emotionen nicht kontrollieren kann, heißt das noch lange nicht, dass er liebt. Zu lieben bedeutet: “Ich nehme dich so wie du bist, mit allem drum und dran, nichts macht mich glücklicher, als dich glücklich zu sehen!“ Alles andere ist Ego!
Ich will meinen Partner aber nicht im Stich lassen!
Klara: „Auch wenn es verrückt klingen mag, ich bin mir sicher, dass er mich liebt, ansonsten würde er nicht so sehr an mir hängen. Du solltest ihn sehen, wenn er mal anders ist. Ich will ihn irgendwie auch nicht einfach im Stich lassen...“
Du bist Partner, kein Therapeut!
Hingabe, Anpassung, Verständnis und Einfühlungsvermögen für deinen Partner sind wertvolle Tugenden in jeder Beziehung. Dabei ist es jedoch wichtig, deine Grenze dort zu ziehen, wo die Anforderungen deine Fähigkeiten und Ressourcen übersteigen. Löse dich von dem Gedanken versagt zu haben, die Schuld zu tragen oder allein für ein harmonisches Familienleben verantwortlich zu sein.
Nimm Unterstützung in Anspruch!
Klara hat nach dem Termin mit mir die Kraft aufgebracht, endlich aus der Negativspirale auszusteigen und lebt derzeit mit ihren beiden Kindern bei Verwandten. Sie hat einen Job gefunden und plant in Kürze den Umzug in ihre eigenen 4 Wände. Ihr Mann Peter hat eine Therapie begonnen.
Auch die nachstehenden Stellen beraten dich gerne weiter:
- Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche bei Gewalt
- Frauenangelegenheiten
- Familienservice des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend Info Hotline: 0800 / 240 262
Hier findest du alle Artikel zum Thema „Trennung – gehen oder bleiben“.