Selbstliebe lernen bedeutet unter Anderem zu verinnerlichen, seine persönlichen Grenzen zu wahren. Welche Strategien dir dabei helfen.
Eine Klientin berichtete kürzlich aufgebracht von einem für sie sehr unangenehmen Ereignis: Sie hatte Besuch von einer Freundin. Gemeinsam verbrachten sie wie gewohnt einen netten Nachmittag, bis sie auf das Thema Kindererziehung zu sprechen kamen. Die gute Bekannte kritisierte den Erziehungsstil ihrer Gastgeberin. Sie sei als Mutter viel zu weich, eine typische „Helikopter-Mami, die ihre Jungs total verzieht“. Für meine Klientin ein absolutes No-go. Mit diesen Worten war ihre Freundin für ihren Geschmack einen Schritt zu weit gegangen. Sie hatte eine persönliche Grenze verletzt.
Situationen wie diese, in denen andere Menschen einen wunden Punkt bei uns treffen und bewusst oder unbewusst eine persönliche Grenze missachten, gibt es unzählige. Ein flüchtiger Bekannter fragt nach deinen sexuellen Vorlieben oder die Schwiegermutter bohrt, wann denn endlich Enkelkinder kommen. Es müssen nicht immer intime, kritische, drohende oder bedrängende Worte sein, die zu weit gehen. Auch eine Überlastung im Job oder eine unangenehme Berührung sind Grenzübertritte. Weil wir im Alltag immer wieder mit Grenzgängern konfrontiert sind, ist es immens wichtig, seine persönlichen Grenzen zu kennen und diese zu wahren. Aber nicht, indem wir uns rechtfertigen, einen Gegenangriff starten oder uns isolieren, sondern auf eine liebevolle, integrative Weise.
Ob du dir dessen bewusst bist oder nicht, jeder Mensch hat ganz persönliche Grenzen, die er automatisch zu wahren versucht. Man kann dabei fünf Bereiche unterscheiden:
- EmotionenEmotionale Grenzen werden häufig verletzt, wenn man einen Menschen zurückweist, dem:der Partner:in seine oder ihre Gefühle abspricht oder intime Fragen stellt. Will eine Person dir ihre Meinung aufdrücken, überschreitet sie eine mentale Grenze und kommt jemand dir zu nahe oder berührt dich unangenehm, ist das ein körperlicher Grenzübertritt. Auch materielle Grenzen können verletzt werden, beispielsweise wenn sich ein Gast ungefragt an deinem Weinregal bedient. Und sicher hast du auch schon mal gespürt, dass dein Limit im Job erreicht war. Drückt man dir trotz der hohen Belastung weitere To-dos auf, ist auch das eine Grenzüberschreitung.
Lies mehr über die fünf Bereiche und wie du dich speziell vor Ablehnung schützen kannst, in diesem Artikel: „Ablehnung: Wie du dich vor emotionalen Verletzungen schützt“
Selbstliebe lernen heißt im Kern, Selbstverantwortung zu übernehmen. Und dazu gehört zuallererst, seine persönlichen Grenzen zu (er)kennen und zu wahren. Ähnlich einer liebenden Mutter, die ihr Kind bedingungslos schützt, ist es deine Aufgabe, für dich selbst einzustehen und damit für alles, was wertvoll für dich ist.
Jede Beziehung, die du hast – zu dir selbst, dem:der Partner:in, den Kindern, Eltern usw. –, kann nur harmonisch und erfüllend sein, wenn du deine persönlichen Grenzen wahrst. Aber nicht im Kampf, indem du Kritik abwehrst oder gar Rache übst, sondern freundlich, aber bestimmt, aus der Liebe und Akzeptanz für dich selbst heraus.
Das bedeutet, dass wir klar formulieren, wenn uns etwas zu viel wird oder verletzt. Mischt sich also jemand ungefragt in dein Leben ein, kannst du entgegnen: "Bitte akzeptiere, dass ich mein Leben so lebe, wie ich es für richtig halte. Ich akzeptiere auch deinen Weg.".
Der Knackpunkt ist, wir trauen uns oft gar nicht erst, Position zu beziehen – aus Angst, einen andere Menschen zu verletzen oder abgelehnt zu werden. Natürlich erfordert es eine Menge Mut, jemandem seine Meinung zu sagen, selbst wenn er oder sie dich schlecht behandelt hat. Und es ist ebenso schwer, seinen Standpunkt zu vertreten, wenn man befürchtet, damit allein dazustehen.
Die gute Nachricht aber ist: Mit etwas Übung kann es jeder:jedem gelingen, für sich einzustehen. Ich möchte dir fünf Strategien an die Hand geben, wie du deine Selbstliebe stärken und persönlichen Grenzen in Zukunft besser wahren kannst:
„Wie soll ich meine Grenzen wahren, wenn ich sie gar nicht so genau kenne?” In der Tat ist es gar nicht so einfach, seine persönlichen Grenzen auszuloten. Im Alltag sind wir oft so sehr für andere da, dass wir immer wieder aus unserem eigenen Rahmen treten und durchlässig werden. Wenn eine Person dann durch ihre Worte oder Taten einen wunden Punkt getroffen hat, bemerken wir dies häufig erst im Nachhinein. Da ist dann dieses mulmige Gefühl im Bauch oder dieser Anflug von Wut, die kribbelnd heiß aus dem Brustkorb in den Kopf aufsteigt.
Achte ab sofort ganz bewusst auf solche Situationen. Sie führen dich geradewegs zu deinen persönlichen Grenzen. Nimm wahr, wie dein Körper auf Grenzüberschritte reagiert und spüre nach, welche Gefühle du damit verbindest.
Ebenso wie deine ganz persönlichen Grenzen solltest du deine Trigger kennen. Damit gemeint sind Situationen, Themen oder bestimmte Personen, die dich sofort von 0 auf 100 bringen, weil du dich bedroht fühlst. Besonders für Frauen ist der Kinderwunsch ein typischer Trigger – egal, ob sie sich Nachwuchs wünschen, unsicher sind oder sich bewusst dagegen entscheiden. Mache dir außerdem bewusst, wie du auf diese Auslöser reagierst. Was tust du, wenn deine Schwiegermutter erneut nach Enkelkindern fragt oder eine Kollegin ihre Schwangerschaft verkündet? Wirst du von deinen Emotionen überrollt und brichst in Tränen aus oder wirst du zum Eisklotz, weil du deine Wut oder Trauer nicht spüren willst?
Wenn du nicht nur deine persönlichen Grenzen, sondern auch deine Trigger und Reaktionsmuster kennst, bist du in Zukunft innerlich gefestigt. Außerdem kannst du dir passende Antworten auf kritische Bemerkungen zurechtlegen, die dir dabei helfen, deine Grenzen zu wahren. Ich helfe dir gerne dabei. Kontaktiere mich dazu einfach für ein kostenloses Erstgespräch.
Besonders Eltern sind zu Hause regelmäßig dazu aufgefordert, Grenzen zu ziehen. Ein typisches Beispiel: Der Sohn weigert sich, Hausarbeiten zu erledigen. Für den Vater oder die Mutter aber gehört das gemeinsame Ordnung halten zu einem harmonischen Familienleben aber dazu. Jetzt kommt es darauf an, wie der Elternteil seinen Standpunkt formuliert. Eine Aufforderung wie „Ich möchte, dass du dein Zimmer aufräumst“ oder „Könntest du vielleicht den Tisch decken?“ enden in 99,9 Prozent der Fälle in Diskussionen und dicker Luft.
Besser ist es, seine Grenzen so klar und eindeutig wie möglich auszudrücken. „Räume bitte in der nächsten Stunde dein Zimmer auf!“ lässt keinen Raum für Streitigkeiten, weil ich meine Grenze respektvoll und unmissverständlich gewahrt habe. Das kleine Wörtchen „bitte“ ist an dieser Stelle essentiell, denn es baut Verbindung zum Adressaten auf. Grenzen zu wahren bedeutet nämlich nicht, eine Mauer zu errichten und sich dahinter abzuschotten, sondern einen Liebespuffer zwischen sich und sein Gegenüber aufzubauen.
Die Klientin aus dem eingangs erläuterten Fall könnte ihrer Bekannten beispielsweise, anstatt sich zu rechtfertigen, sagen: „Ich schätze unsere Freundschaft und deine Meinung sehr. In dem Punkt bin ich anderer Ansicht. Ich halte mich für eine gute Mutter und bin absolut im Reinen mit meinem Erziehungsstil.“ So macht sie sich und ihre Freundin nicht zu widerstreitenden Gegenpolen, sondern zu zwei Menschen, die Anrecht auf ihre persönliche Meinung haben.
Hierzu auch interessant: „Sei nicht so laut! Warum dieser Satz deinem Kind sehr schaden kann“
Glaubenssätze sind Gedanken oder Einstellungen, die wir tief verankert in uns tragen, meist schon seit unserer Kindheit. Sie entstehen beispielsweise durch Auseinandersetzungen oder herabwürdigendes Verhalten unserer Herkunftsfamilie oder anderer enger Bezugspersonen und sie prägen unsere Sicht auf unsere Umwelt und uns selbst. In der Regel sind es Annahmen, die sich im Laufe der Jahre mehr und mehr zu inneren „Wahrheiten“ verfestigt haben. Limitierende Gedanken wie „Wenn ich Nein sage, stehe ich ganz allein da“, „Ich muss mich anpassen, um geliebt zu sein“ oder „Wenn ich meine Meinung sage, gibt es Streit“ halten uns davon ab, gesunde Grenzen zu setzen. Welche Annahmen trägst du mit dir herum? Inwiefern blockieren sie dich und stehen dir im Weg, wenn es darum geht, deine Bedürfnisse zu formulieren oder deine Meinung zu sagen?
Wenn du dir Unterstützung dabei wünschst, deine limitierenden Glaubenssätze zu erkennen und erfolgreich aufzulösen, stehe ich dir gerne zur Seite. Mehr zu diesem Thema erfährst du auch in dem neuen Buch „Mein innerer Tyrann – Über die Kunst, sich selbst nicht im Weg zu stehen“ von Dominik Borde und Pamela Obermaier.
Wie so oft im Leben kommt es auch beim Thema Grenzen wahren aufs richtige Timing an. Reagierst du zu spät, wurdest du in der Regel bereits verletzt. Bei voreiligem Handeln kann kann es hingegen passieren, dass du dein Gegenüber bevormundest und deinerseits eine Grenze überschreitest. Als Hilfestellung für das richtige Timing kann das Ampelsystem dienen. Grün bedeutet im wahrsten Sinne, alles ist im grünen Bereich. Orange heißt, jemand steht bereits mit einem Fuß in deinem Terrain und Rot ist die vollständige Grenzüberschreitung. Der optimale Zeitpunkt, deine Grenze aktiv zu wahren, sind jene Sekunden, kurz bevor die Ampel von Grün auf Orange umspringt. Diesen Moment wahrzunehmen und zu nutzen, erfordert einiges an Übung. Doch wenn du die vier vorangegangenen Strategien verinnerlicht hast, wird dir auch das gelingen.
Hier findest du alle weiteren Artikel zum Thema „Selbstliebe lernen“.