Was starke Frauen gemeinsam haben, ist nicht, dass sie unverwundbar sind und nach außen ein perfektes Bild abgeben. Ihre wahre Stärke liegt in fünf Eigenschaften.
Neulich besuchte ich ein Café und am Nebentisch saß eine junge Frau, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie trug einen eleganten Hosenanzug, ihre dunkelroten Lippen passten perfekt zur strengen Duttfrisur, und sie tippte konzentriert in ihren Laptop – ganz klar ein „Boss Babe“. Dann und wann blickte sie auf, starrte für eine gefühlte Ewigkeit durchs Fenster auf die Straße vor sich und ließ ihre Schultern sinken. Dabei füllten sich ihre Augen mit Tränen und ihre Lippen begannen leicht zu beben. Anstatt sofort ein Taschentuch zu zücken oder sich hinter ihrem Laptop zu verstecken, verharrte sie in diesem Zustand und ließ ihre offensichtliche Traurigkeit zu. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie das tat, imponierte mir. Erst später wurde mir bewusst: Diese Frau zeigte sich an jenem Nachmittag im Café in ihrer ganzen Vollkommenheit. Im einen Moment trug sie ihre perfekte Business-Maske, im nächsten offenbarte sie ihren weichen, verletzlichen Kern. Das machte sie in meinen Augen zu einer wahrhaft starken Frau.
Jede starke Frau hat einen verletzlichen Kern
Wir alle haben diese beiden Anteile: Wir vermitteln nach außen ein Bild von uns, um gemocht, anerkannt oder gar gefürchtet zu sein. Dafür tragen wir im wahrsten Sinne des Wortes Kostüme, legen Make-up auf, nehmen bestimmte Körperhaltungen ein und sprechen auf eine entsprechende Art und Weise mit unserem Gegenüber. Unter dieser Schicht liegt unsere wahre Essenz, die mal müde und hilflos, mal verzweifelt, mal dünnhäutig oder sanft ist. Eine starke Frau zu sein bedeutet für mich, die harte Schale, die jede von uns schützend um sich trägt, durchlässig zu machen und unseren weichen Kern durchschimmern zu lassen.
Tun wir dies nicht, spielen wir immer fort eine Rolle, die unser Umfeld liebend gern bestätigt. „Ich brauche keine Hilfe“, „Ich bin unverwüstlich“, „Ich mache keine Fehler“, – senden wir diese Signale aus, hält uns die Welt einen Spiegel vor: Man gibt uns immer mehr Aufgaben, übergeht unsere Bedürfnisse und erwartet Unfehlbarkeit. Infolge fühlen wir uns tief im Innern immer hilfloser, verletzlicher und ungenügend. Stark sein heißt nicht, seine Rolle noch kämpferischer zu spielen, sondern im Gegenteil: Die Rüstung niederzulegen und der Welt zu zeigen, wie man wirklich ist oder was man ehrlich fühlt. Das kann durch folgende fünf Schritte gelingen, die starke Frauen meiner Erfahrung nach gemeinsam haben:
1. Starke Frauen beharren nicht auf Perfektion
Mal ehrlich, steckt nicht in jeder von uns eine Perfektionistin? Das Streben nach Perfektion vollständig aufzugeben, wäre in meinen Augen ein aussichtsloser Kampf. Der Wunsch und Wille, 150 statt 95 Prozent zu geben, kann uns in manchen Lebenslagen sogar retten. Wir sollten es damit jedoch nicht übertreiben und erkennen, wann der Punkt überschritten ist, ab dem uns unser Perfektionismus zermürbt.
Mein Tipp: Wenn du ein Ziel erreichen willst, stelle ruhig hohe Ansprüche an dich und dein Umfeld. Akzeptiere auf deinem Weg dorthin, der immer ein Lernprozess ist, aber auch Irrtümer, Fehler und Rückschritte.
2. Starke Frauen sehen Ängste nicht als Schwäche
Ich würde behaupten, kein Mensch ist frei von Ängsten und Selbstzweifeln. Und doch tun viele so, als seien sie es. In einer Welt, in der das Optimum nicht gut genug ist und hinter jeder Ecke etwas oder jemand Besseres lauert, schützt uns die vermeintliche Selbstsicherheit. Es braucht Mut und wahre Größe, dieses Spiel nicht mitzuspielen und sich authentisch und verletzlich zu zeigen. Seine Angst vor dem ersten Date zuzugeben, eine Frage zu stellen, die peinlich sein könnte, oder seine Unwissenheit in einem Business-Meeting kundzutun.
Erkenne: Aufrichtigkeit und Verletzlichkeit sind der Schlüssel zu gesunden, glücklichen Beziehungen, – egal, ob im Privat- oder Berufsleben.
3. Starke Frauen trainieren ihre Intuition
Viele Coachingansätze predigen „Hör auf dein Bauchgefühl!“ oder „Vertraue auf deine Intuition!“ – als sei eine überzeugende, innere Stimme ein Zeichen für persönliche Stärke. Doch so einfach ist es leider nicht! Meine langjährige Praxiserfahrung zeigt, dass selbst die stärksten Persönlichkeiten regelmäßig auf ihre Intuition hereinfallen und aufgrunddessen „falsche“ Entscheidungen treffen. Warum? Ihr plötzliche Eingebung, das flaue Gefühl im Magen oder die Schmetterlinge im Bauch sind Projektionen ihres Egos. Ihr Verstand spielt ihnen einen Streich und verkleidet Ängste, Erwartungshaltungen oder übernommene Meinungen als Bauchgefühl.
Dazu ein Beispiel: Eine Klientin berichtete stolz von ihrer Datingroutine. Sie habe eine ellenlange, detaillierte Checkliste, die ein potenzieller Partner zu erfüllen hat. Auf einem Date wisse sie deshalb innerhalb kürzester Zeit aus dem Bauch heraus, ob es passt oder nicht. Diese Klientin durfte im Rahmen unseres Coachings lernen, dass ihre Checkliste ein Produkt ihres Verstandes ist und ihre wahre Intuition blockiert. Inzwischen gibt es keinen Anforderungskatalog mehr. Stattdessen geht meine Klientin offen in Begegnungen mit Männern und gibt sich und ihrem Gegenüber genügend Raum für echtes Wahrnehmen und Spüren.
Erkenne: Dein Bauchgefühl kann trügen, denn oftmals sind es deine Schattenthemen, die zu dir sprechen. Lerne zwischen Intuition und Ego zu unterscheiden. Dafür bedarf es viel innerer Arbeit, die wir auch Schattenarbeit nennen. Auf dem Weg zu mehr Klarheit helfen wir dir gern in einem kostenlosen Erstgespräch.
4. Starke Frauen sind nicht nett
Im Englischen gibt es die Begriffe „nice“ und „kind“ – auf den ersten Blick bedeuten sie das Gleiche, nämlich „nett“, doch bei näherer Betrachtung gibt es einen großen Unterschied. Nice ist ein Mensch, der darauf bedacht ist, von allen anderen gemocht zu werden. Er oder sie würde alles tun, um ja nicht anzuecken. Das Adjektiv kind wiederum beschreibt jemanden, der gütig und mitfühlend ist, – auch oder gerade mit sich selbst. Diese Qualität passt aus meiner Sicht gut zu einer starken Frau. Sie möchte Positives in die Welt bringen und Frieden stiften; ist dafür auch bereit, Opfer zu bringen, aber nicht um jeden Preis.
5. Starke Frauen setzen Grenzen
Seine eigenen Grenzen zu setzen und zu wahren, ist wohl eine der herausforderndsten Aufgaben, die wir zu meistern haben. Aber sie ist essenziell, wenn man gestärkt und fest in sich stehend durchs Leben gehen will. Nur wenn du deine Grenzen kennst, weißt, welche Menschen und Routinen dir guttun und welche dich deiner Energien berauben, wirst du ein erfülltes Leben haben. Nur wenn du für dich und deine Bedürfnisse einstehst, ohne andere zu übergehen, wirst du echte Liebe senden und empfangen können. Das kann bedeuten, dass du einige Beziehungen in deinem beenden oder Gewohnheiten aufgeben musst. Sich abgrenzen muss aber gar nicht so radikal sein: Es kann auch heißen, dass du bestimmte Personen nur noch auf einen Kaffee triffst und maximal zwei Stunden am Stück oder dass du ausschließlich am Wochenende deinen Lieblingsnachtisch isst. Frage dich, was dir ehrlich gut tut und handle danach, ohne Zweifel und Reue – das ist es, was starke Frauen tun.
Lerne als starke Frau deine Imperfektion anzunehmen
Mein abschließender Appell an alle starken Frauen, zu denen auch ich mich zähle und zu denen ganz sicher auch du gehörst, lautet: Bitte zeigt euch öfter so, wie ihr euch fühlt – und ich meine nicht bitter und frustriert oder enttäuscht, weil ihr gelernt habt, eure Grenzen zu überschreiten und bis zum Umfallen zu kämpfen. Sondern in eurer wahren Natur, mit euren Ängsten und Unsicherheiten. Lernt euren wunderschönen Wesen zuliebe, euch an starke Männerschultern anzulehnen und um Hilfe zu bitten, „Es ist mir zu viel“ oder einfach „Nein“ zu sagen. Und zwar von Anfang an!
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Halte dich, weil du eine starke Frau bist, nicht für besser als den Mann an deiner Seite oder deinen Chef. Ich weiß, du kannst so viel und vielleicht viel mehr als sie: ein Team leiten oder eine Firma gründen, Kinder erziehen, den Haushalt auf Trapp halten, Urlaube organisieren, Geschenke besorgen, für alle kochen und dabei alles und jeden überstrahlen. Nur zu welchem Preis? Dass du am Ende des Tages erschöpft zusammenbrichst und niemand mit dir die Scherben aufsammelt, weil du allen signalisierst, du kannst es allein?
Lass deine Rüstung fallen oder mache sie zumindest durchlässig für die verletzliche, unperfekte Schönheit, die darunter liegt.
Und siehe da, Wunder geschehen, wenn du dich selbst in deiner Vollkommenheit annimmst und keine Anteile in dir versteckst – wie jene Frau aus dem Café. Erst wenn du bereit bist, deine Imperfektion lieben zu lernen, kannst du auch von deinem:deiner Partner:in genau für die geliebt werden, die du wirklich bist, und nicht für das, was du zur Schau stellst.